Geschichte sichtbar machen — und damit Zukunft gestalten: Studierende der htw saar haben in einem europäischen Workshop Konzepte für den Erhalt von Schindlers Fabrik entwickelt

Text: Frank Becker

Der Film „Schindlers Liste“ hat sich vielen ins Gedächtnis gebrannt. Die Fabrik, zu der Schindler damals 1.200 Juden aus Krakau gerettet hat, steht noch im tschechischen Brünnlitz (Brnenec). Die Betonung liegt auf „noch“. Denn alle Gebäude auf dem Gelände sind dem Verfall preisgegeben. An der Schule für Architektur Saar, einem Zweig der htw saar, hat man etwas dagegen. Im Oktober 2021 trafen sich Professoren und Studierende im Rahmen von ReFACT – so nennt sich eine Zusammenarbeit der Hochschulen in Florenz, Nancy, Sevilla, Brünn (Brno), Berlin und Saarbrücken, die es sich zum Ziel gesetzt hat, in Workshops Konzepte für Relikte der Industriekultur zu entwickeln. 2006 traf man sich zuerst in Völklingen, 2019 zuletzt in Nancy. Der Workshop im Oktober 2021 stand unter dem Motto „International Workshop ReFACT / Schindler’s Ark in Brno / Czech Republic“.

Das achtköpfige StudierendenTeam der Saarbrücker Architekten wurde von den Professoren Jens Metz und Klaus Köehler begleitet. Das Auswärtige Amt hat die Reise der Saarbrücker und den Workshop maßgeblich unterstützt. Das Gelände um die ehemalige Textilfabrik, die tatsächlich noch bis Anfang dieses Jahrtausends genutzt worden war, umfasst mehrere Gebäude, die zu einem kleinen Teil erst nach 1945 errichtet wurden. Auf das Gelände aufmerksam gemacht hat Daniel Low-Beer, Nachkomme der damaligen Besitzerfamilie. Er hat gemeinsam mit Partnern die Stiftung „Schindler’s Ark“ ins Leben gerufen, die nun weitere Investoren und private Spender sucht, um das Gelände zu reaktivieren (mehr dazu auf arksfoundation.net). In dem Workshop ging es nun darum, Konzepte zu entwickeln, um 1. die Fabrik als Gedenkort zu retten und wiederherzustellen, 2. das Gelände für die Anwohner zu öffnen und nutzbar und 3. auch als touristischen Ort für gezielte Reisen zugänglich zu machen. Die Idee von ReFACT ist es, international zusammengesetzte Teams zu bilden. „So erhalten wir Deutsche wertvolle Impulse aus anderen Perspektiven. Denn in jedem Land wird mit der eigenen und besonders der fremden Geschichte anders umgegangen.“ So beschreibt Jens Metz einen der Vorteile der internationalen Zusammenarbeit. Jedes dieser sechs Teams entwickelte in nur wenigen Tagen – und auch Nächten – ein anderes Konzept, das die genannten drei Ziele umsetzen sollte. Unter dem Motto „Re-Imaginierung“ zeigte die erste Gruppe, wie das Gelände nach und nach belebt wird, indem die Fabrik als Gedenkort hergerichtet wird, auf dem weiteren Gelände würden dann traditionelles Handwerk aus der Region angesiedelt und Wohngebäude errichtet. Das Konzept „Fragmente“ sieht vor, die vorhandenen baulichen Reste zu dokumentieren, zu erhalten und ihre ehemaligen Funktionen sichtbar zu machen. Nach dem Konzept „Labyrinth“ würden die Besucher durch neu gezogene hohe graue Mauern gehen, wodurch die einstige Bedrückung des Ortes erlebbar gemacht würde. Das Konzept „Echo“ wiederum geht auf die sichtbaren Strukturen der noch stehenden Gemäuer ein, um ein wiederkehrendes Muster der Zeit zu dokumentieren. Dagegen lässt das Konzept „gradueller Zerfall“ die Natur Raum greifen und sich das gesamte Gelände weiter zurückerobern, so dass eine Art Natur-Industrie-Park entstehen würde. Schließlich will das sechste Konzept „Zukunft säen“, indem tatsächlich teilweise eine gezielte Begrünung inklusive Gewächshaus angelegt würde. Die Konzepte stellen keinen Wettbewerb dar. Sie sollen lediglich mögliche Wege weisen für eine zukünftige Erschließung und Nutzung. Deshalb sind die Konzepte auch frei verfügbar. Die Teilnehmer sind zurzeit dabei, eine ausführliche Dokumentation des Workshops zu erstellen, die dann auch publiziert werden soll. Gemeinsam mit Daniel Low-Beer wird diese dann vor Ort in Brünnlitz vorgestellt. Das Ziel ist, die Sichtbarkeit des gesamten Objektes zu erhöhen und einen Bezug zur Region herzustellen. „Alles, was in Zukunft hier realisiert wird, muss die Bevölkerung mitnehmen.“ Klaus Köehler ist überzeugt, dass dann das Gelände auch eine lebendige Zukunft hat.

    

Im Rahmen des „New European Bauhaus“-Projektaufrufs unter Einbeziehung der Partnerhochschulen wird zurzeit ein Antrag auf weitere Förderung vorbereitet. Bauhaus deshalb, weil in Brünn mit der „Villa Tugendhat“, die der deutsche Bauhaus-Architekt Mies van der Rohe 1929- 1930 errichtet hat, eine lebendige Verbindung zur Bauhaus-Tradition besteht. Und Grete Tugendhat, die gemeinsam mit ihrem Mann Fritz das Haus bauen ließ, ist eine geborene Low-Beer. Für die htw saar ist dieser Workshop eine äußerst wichtige Veranstaltung. „Zum einen wegen des europäischen Austauschs, der an der htw stets gepflegt wird, zum anderen wegen des engen Bezugs zu unserer und der gesamten europäischen Industriekultur“, betont Jens Metz die Bedeutung dieses Workshops und des gesamten ReFACT-Verbundes. Und: „Die Teilnehmer haben komplett Vollgas gegeben. Dabei haben sie Sprachgrenzen oft mit viel Kreativität überwunden.

Foto: htw saar

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