
Text: Frank Becker
Der Hintergrund lässt an eine Filmszene in „Star Wars“ oder „Dune“ denken – sandfarbene Berge erheben sich aus einem ebenen Wüstenboden. Mittendrin steht das Modell einer Baustelle, an der ein Kran gerade Material entlädt. Wo muss ich den Kran positionieren, damit er alle Stellen des Bauprojekts mit Material versorgen kann? Wie regele ich überhaupt die Anlieferung? Und wie organisiere ich den Bau, um einen reibungslosen Ablauf zu gewährleisten?
Mit dieser und ähnlichen Fragen rund um den Komplex Projektorganisation und -steuerung sowie Kostenplanung am Bau setzt sich Professor Peter Böttcher, der die Studienleitung „Europäisches Baumanagement“ an der htw saar innehat, mit seinen Studierenden auseinander. Oder kurz gesagt: „Ich erkläre meinen Studierenden, wie man baut“, so Professor Böttcher. „Papier ist geduldig und sagt nicht, wenn man mit der Planung falsch liegt.“ In einem zunächst eher zufälligen Gespräch mit Informatiker Professor André Miede entstand die Idee, den Bauprozess mit Hilfe von Methoden der Unterhaltungs-, Spiele- und Filmindustrie – dem Entertainment Computing – virtuell abzubilden.
Doch warum Entertainment Computing?
Ganz einfach: Dort gibt es bereits grundlegende und ausgereifte Technologien, ganze interaktive Landschaften, Gebäude, Städte – ja Planeten – virtuell zu konstruieren, um darin Handlungen ablaufen zu lassen. Warum also nicht die einzelnen Schritte vom Anlegen einer Baustelle über das tatsächliche Bauen eines Gebäudes bis zur Fertigstellung virtuell nachvollziehen. „Grundlage sollte der fertige, in Computer Aided Design (CAD) digital angelegte Konstruktionsplan des Gebäudes sein. Die Hauptschwierigkeit lag nun darin, diese Daten so in eine Software zu übertragen, dass sie in drei Dimensionen auf dem Bildschirm entstehen, und man mit ihnen einfach interagieren kann“, erläutert Prof. Böttcher die Aufgabenstellung. Jedoch gibt es keine Software, die das von Haus aus kann, sie musste also selbst programmiert werden. In Projektarbeiten lernen die Informatik-Student*innen an der htw saar, mit modernen Technologien Lösungen praktisch umzusetzen. Die Zusammenarbeit mit den Bauingenieur*innen macht dies besonders spannend und lehrreich, weil die Sprache und die Anforderungen des (fachfremden) Kunden verstanden und umgesetzt werden müssen.
„In der Theorie können wir das den Studierenden schon gut vermitteln, aber es geht nichts über den Kontakt mit einem echten Kunden, der ein echtes Problem gelöst haben möchte“, so Miede. Das Ergebnis lässt sich auf dem Bildschirm oder mit einer VR (Virtual Reality)- Brille sogar begehen und live verändern. „Meine Studierenden können hier Erfahrungen mit modernen Technologien und praktischen Aufgabenstellungen sammeln, die ideal auf Alltag und Beruf vorbereiten.“ André Miede sieht hier für beide Arbeitsbereiche eine klare Win-win-Situation.
Mit einer solchen Simulationssoftware lassen sich Baustellen im Voraus exakt planen, indem jeder einzelne Arbeitsschritt in der Software durchgespielt wird. So können eventuelle Schwierigkeiten bereits beim Anlegen der Baustelle erkannt und behoben werden. Auch unerwartet auftauchende Hindernisse wie eine vergessene Kanalisation oder überraschend unsicherer Baugrund können in die Simulation hineinprogrammiert werden. Nicht nur bei der Erneuerung von Brücken oder beim Neubau von Großprojekten würde dieses Programm eine wertvolle Erleichterung sein, die durch vorausschauende Planung und Prozessaufbau helfen würde, viel Zeit, Ressourcen und Geld zu sparen. Es gibt Anbieter wie Mozilla, bekannt durch den Firefox-Internetbrowser, die virtuelle Begegnungsräume im Internet schaffen. Dort sollen sich dann Menschen aus privaten oder beruflichen Gründen zusammenfinden. Aus dieser spielerischen Welt kommen Programme, die für alle Programmierer zugänglich sind – OpenSource-Programme. „Wir können uns vorstellen, auf so ein Programm aufzusatteln, um mühselige Detailarbeit zu sparen“, denkt Peter Böttcher über die Zukunft nach. 
Gleichzeitig ist das Erlernen der Prozess-Simulation mit virtuellen Techniken ein Know-how, das den Studierenden, die an diesem Projekt mitarbeiten, großartige Möglichkeiten für ihren Berufsweg an die Hand gibt. Oder aus einer anderen Perspektive betrachtet: Hier an der htw saar entsteht Know-how, das Unternehmen bewegen könnte, sich für den Standort Saarland zu interessieren. Interessanter Nebeneffekt dieses Projekts: Die Studierenden haben begonnen, die Ludwigskirche in Saarbrücken baulich digital zu erfassen, um Pläne vorliegen zu haben, die als Basis für zukünftige Restaurierungen dienen können. Denn Pläne sind hier wie bei fast allen historischen Gebäuden keine (mehr) vorhanden. So kann Know-how von der htw saar nicht nur Werte schaffen, sondern sie auch erhalten helfen.
Mehr Informationen unter: www.youtube.com/c/ ProfDrPeterBöttcher/playlists