
(CL) – Im Rahmen des Atomausstiegs und der Energiewende werden zurzeit in Deutschland stillgelegte Kraftwerke rückgebaut. Naturzugkühltürme in Kraftwerken stellen aufgrund ihrer Höhe (bis zu 200 m) und hyperbolischen Form bei gleichzeitig sehr geringen Wandstärken (ca. 18 cm in großen Bereichen) herausragende Ingenieurbauwerke dar. Bei deren Abbruch stellt sich die Frage nach dem Rückbauverfahren – konventioneller mechanischer Abtrag von oben nach unten oder Sprengabbruch. Die Vorteile der Sprengung liegen auf der Hand: schneller Abbruch ohne Einsatz von zeit- und kostenintensivem Abbruchgerät in großen Höhen. Um einen solchen Einsturz durch Sprengung kontrolliert erfolgen zu lassen, sind vor der Sprengung gezielte Schwächungen der Schale erforderlich.
In der Regel werden ein bzw. mehrere Vertikalschlitze in der Fallrichtung und 2 Diagonalschlitze in den Flanken -90° und +90° angeordnet. Durch Sprengung der Stützenpaare im Bereich -90° bis +90° kommt es zu einem Stützenausfall über den halben Umfang. Das gesamte Eigengewicht G muss nun über die verbleibenden Stützen abgetragen werden. Dadurch entsteht bezogen auf die restlichen Stützen ein Kippmoment M, so dass es zu einer Horizontalrissbildung im unteren Schalenbereich kommt. Durch diesen Mechanismus erfolgt eine Kippbewegung mit langsamem Abgleiten, das durch die beiden Fallschlitze bei ±90° gesteuert wird. Für den Bauzustand vor der Sprengung ist die Standsicherheit der Kühlturmschale im vorgeschwächten Zustand für die Einwirkungen aus Eigengewicht und Wind nachzuweisen. Problematisch hierbei ist, dass der ursprüngliche Tragmechanismus (Membrantragverhalten) durch Anordnung von Vorschwächungsschlitzen komplett außer Kraft gesetzt wird. Der Nachweis der Standsicherheit gelingt nur unter Anwendung nichtlinearer Berechnungsverfahren im Rahmen von Traglastsimulationen, die das Materialverhalten von Stahlbeton und Systemtragverhalten berücksichtigen. Weiterhin sind Erschütterungen infolge des Sprengabbruches zu prognostizieren, zu messen und zu bewerten.
Das hierfür erforderliche Spezialwissen ist im Fachgebiet Baustatik an der htw saar vorhanden und wird in seinen grundlegenden Zügen auch in Vertiefungsvorlesungen vermittelt, woraus bereits mehrere Praxiskooperationen mit beteiligten Energieversorgungs- und Abbruchunternehmen entstanden sind. Weiteres Infomaterial findet sich z.B. zum Sprengabbruch am Standort Philippsburg auf https://www.enbw.com/kuehltuerme/.
