Interview mit Prof. Dr. Christian Schröder, der das Projekt Bildungswerkstatt der htw saar wissenschaftlich begleitet. Auf der Grünen Insel Kirchberg in Malstatt entsteht eine Bildungswerkstatt. Als Quartiersbildungszentrum unterstützt die Bildungswerkstatt die Schulen, Kitas und sozialen Einrichtungen in Malstatt bei der Bildungsarbeit. Das Interview haben Jana Bauer und Linda Herrmann am 11. Januar 2023 durchgeführt.
Können Sie uns erst einmal drei Hashtags/Stichwörter nennen, die für Sie den Begriff der Nachhaltigkeit beschreiben?
#Klimagerechtigkeit, #Bildung, #Sozialer Raum
Die Bildungswerkstatt beschäftigt sich damit, einen Raum zu schaffen, wo Bildung und Inklusion stattfinden können. Können Sie uns das ein bisschen genauer erklären?
Die Bildungswerkstatt ist meiner Meinung nach ein besonderes Projekt, in dem unterschiedliche Akteure aus Politik, Praxis, Wissenschaft und Zivilgesellschaft seit 2019 intensiv zusammenarbeiten. Das Herzstück des Projekts, Quartierbildungszentrum, wird gerade auf dem Kirchberg im Saarbrücker Stadtteil Malstatt gebaut.
Die Verbindung von Inklusion mit Fragen der Bildung zieht sich im Grunde durch den gesamten Prozess. Diesen Prozess haben wir partizipativ angelegt. Akteure aus der städischen Verwaltung und Politik werden zusammen mit Fachkräften der Sozialen Arbeit, Leitungen lokaler Schulen und Bewohnerinnen und Bewohnern dieses Stadtteils einbezogen. Es geht darum, zusammen Erkundungen zu machen und zu forschen und das mit Akteuren, die ganz unterschiedliche Perspektiven auf die ‚Welt‘ haben. Wir erkunden, was es hier braucht. Also wie funktioniert dieser Sozialraum, was möchten die eigentlichen Akteure, wie verstehen diese Bildung und wie bettet sich so ein neues Gebäude, in diese vorhandenen Strukturen ein. Das ist dann nachhaltig in dem Sinne, dass viele Menschen mitgewirkt haben und ihre Ideen mit eingebracht haben. Und sobald dann dieses Gebäude steht, kann sich jeder auf eine eigene Art und Weise damit identifizieren. Deshalb hat dieser Prozess auch lange gedauert, geht noch weiter und soll auch nicht aufhören. Wir wollen eine Organisation haben, die weiter lernt. Das ist das Besondere, was man sonst, meiner Meinung nach, an klassischen Bildungsinstitutionen nicht vorfindet.
Gibt es ein konkretes Ziel der Bildungswerkstatt und wenn ja, welches?
Es gibt Ziele, die durch bestimmte Handlungszwänge gesetzt wurden, in die man reinkommt, wenn man ein Projekt begleitet das Fördersummen in Millionenhöhe hat. Gelder müssen zu bestimmten Zeiten verbraucht werden. Dadurch entsteht in der Verwaltung verständlicherweise auch immer wieder Zeitdruck. Uns ist es allerdings immer wieder gelungen in enger Kooperation mit der Verwaltung und den Finanzierern, das so auszuhandeln, dass wir mehr Zeit bekommen, um die Fragen mit ausreichend Zeit und vor allem partizipativ beantworten zu können. Das ist nicht selbstverständlich. Es gab oft Situationen, in denen wir erklären mussten, dass wir noch nicht die Möglichkeit hatten mit allen Akteuren darüber zu sprechen und deshalb mehr Zeit brauchen.
Wir haben uns gefragt, welche Bildung braucht es in so einem Stadtteil wie Malstatt, in dem eben auch Menschen leben, die stark von der Armut betroffen sind. Malstatt ist ein zentrumsnaher Stadtteil, der aber auch Wohnungen bereithält, die zwar günstig, aber auch meist im schlechten Zustand sind. Dadurch verdichten sich dort soziale Probleme. Die Frage war dann, was bedeutet hier eigentlich Bildung? Bildung, nicht in einem bürgerlichen Sinne, sondern Bildung, die Spaß macht, die an die Lebenswelt der Leute, die dort leben oder die dort vielleicht auch ankommen, anknüpft. Das beschäftigt uns immer noch, da gibt es nicht „die Antwort“. Wir generieren Angebote, die versuchen bedarfsorientiert zu sein und konkrete Antworten geben. Das ändert sich durch die sich ändernde Bewohnerschaft ständig.
Die anderen Fragen wären, wie bettet sich das in den sozialen Raum ein und wie gestaltet sich so eine ‚lernende Organisation‘. Diese Fragen sind noch nicht beantwortet, aber es ist ein dauerhaftes Ziel diese Fragen neu zu stellen und immer wieder neue Antworten zeitgemäß anzupassen.
Gibt es denn schon Pläne, das Projekt in andere Stadtteile weiterzutragen?
Wir hatten immer den höchsten Anspruch und haben gesagt wir machen ein Leuchtturmprojekt. Alle Prozesse werden in Frage gestellt und wir überlegen ganz grundsätzlich, warum wir Dinge eigentlich so machen wie wir sie immer machen, und wie man das sinnvoll anders gestalten könnte. Dabei wollen wir bleiben und dabei sind auch viele innovative Ideen entstanden, die wir mit anderen teilen. Das Ziel ist dann, dass es als Gesamtpacket, als lernende und adaptive Organisation, auf andere Stadtteile übertragbar ist. Quasi ein Leuchtturm für Bildung.
Wer kann bei der Bildungswerkstatt mitmachen?
Es gibt das Projekt Balu und Du. In ähnlicher Weise hatten wir angedacht, das Projekt für Seniorinnen und Senioren zu machen. Auf Basis einer Bedarfsanalyse haben wir festgestellt, dass die Vereinsamung unter anderem aufgrund des demographischem Wandels, zunimmt. Daher möchten wir Tandems zwischen Studierenden und Senioren und Seniorinnen bilden, in denen man voneinander lernt, also ein generationsübergreifendes Modellprojekt starten. Da wäre die htw saar als Kooperationspartnerin gefragt, den Input für Studierende zu bieten, die solche Begleitungen machen.
Ansonsten haben wir auch Lehrforschungsprojekte. Zuletzt haben wir in einem Projekt die Methode des „Designthinking“ aus den Wirtschaftswissenschaften angewendet, die Innovationen in Unternehmen verspricht. Das haben wir in Malstatt gemacht und werden das im Sommersemester 2023 auch nochmal über ein Jahr machen. Durch dieses Projekt kommen wir zu bedarfsorientierten Angeboten. Das haben die Studierenden jetzt auch gerade im Projekt in Alt-Saarbrücken mit Jugendlichen, Senior*innen, Männern aus Syrien, die im Stadtteil Alt-Saarbrücken wohnen, gesprochen, und haben konkrete, bedarfsorientierte Angebote für diese Personengruppen entwickelt. Sowas kann ich mir auch dauerhaft in der Bildungswerkstatt in Lehrforschungskooperationen vorstellen. Das wird dem Gedanken gerecht, dass die Bildungswerkstatt ihre Angebote immer an den sozialen Raum anpassen soll.
Bei unserer Recherche haben wir gesehen, dass es auch schon einige Sprachworkshops gab. Wie erfährt denn die Zielgruppe, davon?
Es gab diese Workshops zum Thema Sprache, da wir festgestellt haben, dass die Bildungsinstitutionen meist sehr monolingual auf die Sprache Deutsch ausgerichtet sind. Daher stellte sich die Frage, wie schaffen wir es, dass Kinder mit einer anderen Muttersprache, diese Sprachen weiter vertiefen und lernen können, so dass man eine andere Muttersprache als Deutsch nicht als Defizit betrachtet, sondern als Ressource für den Unterricht. Das ist nicht leicht zu beantworten. Das war etwas, dass wir in den Workshops unter Fachkräften dieser Ebene diskutiert haben. Dann gab es aufgrund von Corona und Schließungen der Schulen, einen großen Bedarf trotzdem Anschluss im Unterricht zu behalten. Darauf haben Kolleg*innen Sprachcamps in den Schulferien auf dem Kirchberggelände realisiert. Dort gab es die Idee ein Konzept zu realisieren in dem die Kinder Deutsch lernen, das aber viel draußen ist und viel Bewegung und Peer to Peer Austausch beinhaltet. Da haben die Kolleg*nnen, Lena Reichert, die Bildungskoordinatorin der Bildungswerkstatt, zusammen mit den Schulen ein eigenes Konzept aufgestellt und haben vor Ort mit Kindern gearbeitet. Die Zahl von Interessent*innen war größer, als die verfügbaren Plätze. Dieses Angebot traf einen wirklichen Bedarf und eine große Bereitschaft von Eltern und Kindern in andere Lernformate einzusteigen.