Ein Pakt für die Zukunft
Der Qualitätspakt Lehre – ein großes Projekt, das automatisch auch große Erfolge generiert? Ein kritisches Gespräch mit Prof. Dr. rer. oec. Andy Junker, Vizepräsident für Studium, Lehre und Internationalisierung, und Dr. rer. nat. Markus Ehses. Projektkoordinator Studium, Lehre & Internationalisierung.
Herr Prof. Junker, Herr Dr. Ehses, im Jahr 2012 startete der Qualitätspakt Lehre an der htw saar. Erinnern Sie sich noch an die Stimmung, die damals an der htw saar herrschte?
Prof. Junker: Damals befand ich mich noch in der Rolle als „normaler“ Professor und bekam den Projektstart quasi aus der Beobachterrolle mit. Die Mitarbeitenden hatten mitbekommen, dass die Hochschule da ein Riesenprojekt an Land gezogen hatte. So mancher dachte allerdings: „Was? Da wird eine separate Abteilung mit eigener Zentrale für die Optimierung der Lehre etabliert? Na, so ein Wasserkopf!“
Dr. Ehses: Viele befürchteten, dass einem jetzt neue Leute sagen wollen, wie Lehre wirklich funktioniert. Diesen Eindruck konnten wir aber auflösen und zeigen, dass die Verbesserungen an jene Dinge andocken, die an der htw saar bereits gut laufen. Ob e-Learning, Mentoringprogramm, Studiumplus, Weiterbildungsangebote, die vielfältigen Tutorien und sonstigen Unterstützungsangebote: Als wir diese Maßnahmen etabliert hatten, nahmen viele das Qualitätspakt Lehre-Projekt für die Hochschule als echten Gewinn wahr. Damit hatten wir die Akzeptanzhürde dann genommen.
Und diese Hürde war hoch?
Prof. Junker: Ja, die war teilweise hoch. Ich überspitze jetzt einmal: Viele Professor*innen sind der Meinung, dass sie genau wissen, wie Lehre funktioniert – schließlich sind sie ja genau deshalb Professor*innen geworden! Die Wahrheit aber ist: zwischen Wissen besitzen und Wissen vermitteln gibt es einen Unterschied. Und der Qualitätspakt Lehre hat den Lehrenden gezeigt: Ihr könnt an eurer Wissensvermittlung arbeiten, und dabei ist es völlig in Ordnung, wenn ihr dabei eine angebotene Unterstützung nutzt. Diese Einsicht hat das Mindset an unserer Hochschule nachhaltig verändert.
Neun Jahre kurz zusammengefasst: Was hat der Qualitätspakt Lehre an der htw saar bewirkt?
Prof. Junker: Der Qualitätspakt Lehre hat über die Jahre das Verständnis deutlich geschärft und weiterentwickelt, was gute Lehre bedeutet. Es war ein Aha-Effekt. Aha, man kann an guter Lehre arbeiten. Und aha, ich darf dabei auch Angebote von Expert*innen nutzen.
Dr. Ehses: Außerdem war das ursprüngliche Ziel damals, die Abbruchquote bei den Studierenden zu senken. Doch wir merkten schnell, dass hier viele Dinge hineinspielen. Was bedeutet Abbruch überhaupt? Was sind die Ursachen dafür? Und wie lässt sich die Wirkung von Optimierungsmaßnahmen auf das Studium überhaupt in Zahlen fassen? Wir mussten lernen: Solche Fragen kann man nicht pauschal beantworten.
Es ist also kompliziert ...
Prof. Junker: Durchaus. Eine verbesserte Betreuungsrelation heißt nicht, dass weniger Studierende die Hochschule vorzeitig verlassen. Mehr Tutorien bedeuten auch nicht, dass die Absolventen am Ende im Schnitt bessere Ergebnis zeigen.
Dr. Ehses: Lernerfolg ist hochkomplex und kann unterschiedlich definiert werden. Wichtig ist, nicht stehen zu bleiben, sondern als Hochschule und Lehrende immer an guter Lehre dranzubleiben und sie weiterzuentwickeln.
Prof. Junker: Aber eines ist sicher: Um eine gute Lehre anbieten zu können, muss man aus Dozent*innen richtig gute Dozent*innen machen. Und da setzt das Qualitätspakt Lehre-Projekt an der htw saar an.
Haben Sie einen Einblick, wie andere Hochschulen den Qualitätspakt umsetzen –oder tauschen sich sogar mit ihnen aus?
Dr. Ehses: Die Hochschulen stehen in teils intensivem Kontakt untereinander. Wir diskutieren bundesweit mehrmals im Jahr mit Vertreter/innen der anderen, knapp 150 Hochschulen, die am Qualitätspakt teilnehmen, und besuchen uns gegenseitig auf Workshops vor Ort. So kommen wir ins Gespräch und lernen gegenseitig von den Erfahrungen der anderen.
Prof. Junker: Bei Events wie dem gemeinsamen Tag der Lehre der htw saar und der HS Kaiserslautern konnten wir uns gegenseitig bewährte Modelle präsentieren, diskutieren, aber auch von anderen im Austausch lernen. Ein sehr sinnvoller „Blick über den Tellerrand“.
Geht dieser Blick auch in Richtung Ausland?
Prof. Junker: Unbedingt! Aktuell wurde für ein Seminarkonzept, das aus einer langjährigen Kooperation mit der Saxion Hogeschool aus den Niederlanden hervorging, der Landespreis Lehre gewonnen. Aber auch mit Partnern in Finnland entwickelten wir gemeinsame Konzepte für blended mobility teaching. Übrigens ist es bei internationalen Kooperationen spannend zu sehen, wie unterschiedlich die Rollen eines Professors in einer Nation gelebt werden. In Frankreich ist der Prof ein unantastbarer Halbgott, in den USA eher dein Buddy, den du mit Vornamen ansprichst. Hat das einen Einfluss auf die Lehre? Das gilt es herauszufinden!
Dr. Ehses: Man merkt dabei außerdem: Auch Hochschulen im Ausland stehen trotz anderer Rahmenbedingungen ähnlichen Herausforderungen gegenüber wie hohen Drop-out Quoten und Digitalisierung. Das können Mitarbeiter*innen besonders plastisch im Work Shadowing und Staff Weeks an den Partnerhochschulen erleben, die wir im Rahmen der ERASMUS+ Mobilität organisiert haben.
Ist die Digitalisierung der Lehre auch solch eine Herausforderung?
Prof. Junker: Definitiv. Und die Corona-Krise hat uns gezwungen, sie noch stärker voranzutreiben. Da bin ich stolz darauf, dass wir das ziemlich gut gemanagt haben. Allerdings ist eines klar: Eine digitale Fern-Uni werden wir nicht werden. Digitale Lösungen ersetzen keine Professor*innen und auch nicht die Präsenzlehre. Denn Lernen ist ein sozialer Prozess – der allerdings von digitalen Angeboten ganz hervorragend ergänzt werden kann.
Dr. Ehses: Zugleich wissen wir, dass sich der Arbeitsmarkt rasant digitalisiert. Da müssen wir in der Lehre natürlich mindestens gleichziehen. Die Digitalisierung kann zudem einen echten Mehrwert in der Lehre erzeugen. Zum Beispiel können wir live bei uns keinen Schiffsmotor in seine Einzelteile auseinandernehmen – in einer digitalen Simulation allerdings geht das hervorragend. Zudem können digitale Medien mobil eingeschränkten Studierenden den zeit- und ortsunabhängigen Zugang zu akademischer Lehre ermöglichen.
Wie lautet also Ihr Fazit zum Qualitätspakt Lehre?
Dr. Ehses: Das Projekt „Optimierung des Studienerfolgs“ hat an der htw saar einiges in Bewegung gebracht. Neben den fachlich-inhaltlichen Konzeptionen wurde der Austausch über gute Lehre deutlich befördert, und zwar über Fakultätsgrenzen hinweg. Das trägt wesentlich zur Entwicklung eines Verständnisses von guter Lehre bei und steigert die Qualität der Lehre. Um diesen Effekt zu verstärken, würden wir in einem nächsten vergleichbaren Projekt die engere Anknüpfung an die Entscheidungsgremien früher suchen. Trotz des administrativen und finanziellen Aufwands zeigt das positive Feedback der Lehrenden und Studierenden, dass er die Mühe wert war.
Prof. Junker: Außerdem sind der Stellenwert und die Sichtbarkeit unserer Lehre ganz klar gestiegen. So fußen mindestens zwei Landespreise für Hochschullehre in Konzepten, die im Qualitätspakt Lehre-Projekt entwickelt wurden. Nicht zu vernachlässigen ist auch die Expertise in Studium und Lehre, die wir in den vergangenen Jahren aufgebaut haben. Sie zählen zum Kapital einer Hochschule, auf dem man die Erfolge der Zukunft aufbauen kann.